Man kann sagen, dass das Thema um Hochsensibilität so diffizil und umfangreich ist, dass derjenige, welcher sich damit beschäftigen will, sehr sorgfältig recherchieren muss. Das Thema ist nicht einfach.
Die HSP, egal welchen Geschlechts, ist erstmal und anscheinend eine ganz „normale“ Person. Umso tiefer man in das Thema einsteigt, desto vielfältiger werden die Persönlichkeitsmerkmale, welche darauf hinweisen, dass hier kein alltägliches Profil zu erwarten ist.
Tatsächlich gibt es Profis, egal ob Beginner, die gerade die Prüfung abgeschlossen haben, oder Professoren, welche ein und denselben Klienten vollkommen unterschiedlich bewerten.
Die HSP stellt sich oft an einem Tag ganz anders dar als am nächsten. Durch die Hochsensibilität ist der Klient in der Lage, veränderte Stimmungen oder Absichten des Interviewers früh zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Nach Aron erwarten manche Fachleute bei Hochsensiblen eine Introversion, eventuell Schüchternheit und Neurotizismus.
Nach meiner eigenen Beobachtung sehe ich im Gegenteil bei geistig gesunden HSP, welche das Glück einer behüteten Kindheit hatten, die Bereitschaft zu einem starken sozialen Verhalten, weil die positiven Reize als stärker empfunden werden.
Das kann man gut beobachten, wenn die Erziehung in hoher Fürsorge, aber ohne Überbehütung stattgefunden hat. Ich konnte aber auch feststellen, dass viele HSP, welche nicht das Glück einer solchen Kindheit hatten, stark genug waren und in der Lage trotz dieser Disposition das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Dass die HSP, wenn sie mit sich selbst konform ist, ein interessantes psychisches Profil abgibt, ist unleugbar. Ich persönlich habe hauptsächlich mit weiblichen HSP zu tun gehabt. Diese waren selten „schnell überfordert, oder gar hoch verletzbar“ wie manche Experten das sehen, eher selbstbewusst und im Zweifel auch zur Konfrontation bereit.
Hier muss spätestens Hochsensibilität als Ausdruck der Persönlichkeit erkannt werden und der Unterschied der Reaktion einer Störung durch Highsensitivity.
Nach Kretschmer ist der Haupttyp, welcher geneigt ist statt hoher Sensibilität zur krankhaften hohen Sensivität zu tendieren, der Leptosom. Er ist vom Naturell her sehr zurückhaltend, überempfindlich, gehemmt und äußerlich kühl.
Nach Hölderlin: Tatenarm und gedankenvoll.
Strindberg sieht ihn „grüblerich“ in die Seide seiner eignen Seele eingesponnen. Auch lässt sich hier die Störung an folgendem Verhalten leicht erkennen: Nach Außen oft kontaktschwach mit starkem Innenleben, schnell die Grenze zur Störung überschreitend, brauchen dann psychiatrische Hilfe.
Im Gegensatz dazu steht die HSP seelisch auf festem Grund, meistert ihr Leben oft mit Bravour. Allerdings auch in der Lage, eine Diskussion oder ein Gespräch zu beenden oder einfach den Raum zu verlassen, wenn ihnen eine Fortführung der Diskussion wenig sinnvoll erscheint oder zu belastend wird.
Die weiblichen HSP, welche mir genügend Vertrauen schenkten sie zu beraten, waren oft lebensklug, entscheidungsfreudig, mutig in der Krise, intelligent genug, eine gute Empfehlung zu erkennen und anzunehmen. Hier muss man nun fast zwingend unterscheiden zwischen Hochsensibilität als Ausdruck der Persönlichkeit, der bis jetzt gelebten Biografie und einer stark ausgeprägten Sensitivität, welche dann in den Bereich der Störung einzuordnen ist.
Hier bietet sich der Vergleich mit den HSP an. Im Gegensatz zum Sensitiven steht der HSP erkennbar mit beiden Füssen auf festem, seelischem Grund. Er ist in der Lage, auch bei größeren Belastungen seine Probleme zu klären. Z. B. wird ein Kontakt, der nicht gut tut, abgebrochen und auch sehr selten wieder aufgenommen. Die HSP, welche mir erlaubt hatten sie bei der Lösung ihrer Probleme zu begleiten, waren oft sehr lebensklug, mutig bei ihren Entscheidungen, umsichtig in der Krise, intelligent genug schnell zu erkennen ob eine Empfehlung wirklich eine Lösung beinhaltet.
Die Hochempfindlichkeit der HSP kann jeden Lebensbereich berühren. Natürlich sind es die Sinne, die am Stärksten reagieren. Unter Fachleuten wird Diskutiert, welche Sinne hier die Reaktionen auslösen. Ist es der Geruchssinn, der Tastsinn, der Geschmack, das Hören, der Gesichtssinn oder der Tastsinn.
Der Mensch ist riechend, sehend, hörend, fühlend.
Jeder dieser Sinne kann die Hochempfindlichkeit mit Gewalt in das Bewusstsein des Klienten katapultieren und damit ein Verhalten auslösen, welches auf Otto-Normalo befremdlich wirkt. Aber der HSP ist nun mal empfänglicher, seine Sensibilität lässt ihn früh Grenzen erkennen, welche er nicht überschreiten will, hilft Formen, Farben, Bilder als schön oder auch nicht so schön zu klassifizieren.
Es könnte sehr interessant sein, zwei HSP in eine Kunstgalerie zu begleiten, wenn beide einen unterschiedlichen Kunstgeschmack haben. Der eine mag vielleicht Beuys, der andere Matisse - da wird es spannende Diskussionen geben. Aber das ist ja oft auch bei weniger sensiblen Kunstkennern anzutreffen.
Bis jetzt habe ich viel über Außenreize gesprochen, welche von den Sinnen, vom körperlichen ausgelöst werden. Diese kann die HSP erheblich reduzieren, indem sie zumindest in ihrem persönlichen Bereich, dort, wo sie persönlich entscheidet, welche visuellen und olfaktorischen Reize sie beeinflussen, stark selektiert.
Ein Einflussbereich welcher viel beanspruchender ins Gewicht fällt als diese beiden, ist das Auditive. Das Wort! Hier hat man viel weniger Möglichkeit zu selektieren. Das Wort kommt fast unkontrollierbar ans Ohr. Sei es durch Gespräche, ob am Telefon, von Mund zu Ohr oder auch durch Geschriebenes, z. B. via Emails, Social Media Nachrichten, wie auch immer: Es kann sehr verletzen.
Wolfgang Klages, welcher schon sehr früh therapeutisch mit Hochsensitiven Menschen gearbeitet hat, weist an dieser Stelle auf das Gedicht von Hilde Domin hin.
Der Titel: Unaufhaltsam.
„Wo das Wort vorbeifliegt, verdorren die Gräser,
werden die Blätter gelb, wird es eiskalt,
das Wort ist schneller, das schwarze Wort,
es kommt immer an, hört nicht auf anzukommen,
besser ein Messer, als ein Wort,
ein Messer kann stumpf sein, es trifft oft am Herzen vorbei,
doch nicht das Wort.“
Diese Schilderung auf die HSP bezogen, kann bei ihr etwas auslösen, was man bei HSP verstärkt findet: Empfindlichkeit. Da muss vom Gesprächspartner keine Absicht dahinterstecken.
Ein Wort, etwas was hart, im unglücklichen Moment ausgesprochen, kann eine HSP bitterböse erzürnen, oder schlimmer noch: verletzen.
Ich hatte meinen Artikel einer mir sympathischen HSP zum Lektorat vorgelegt. Sie machte das, so wie ich das heute sehen kann, perfekt, fast knallhart. Der kleinste Fehler, z. B. in der Interpunktion, wurde gnadenlos kommentiert. Ich hoffe, sie wird mir meine Beschwerde darüber jemals verzeihen. Umgekehrt ist es so, dass HSP sehr bedacht und wählerisch mit ihren Worten umgehen, sicher weil sie wissen, welchen Schaden sie mit einem unglücklich gewählten Wort anrichten können.
Dieser Begriff „Empfindlichkeit“ ist ja das, was Hochsensibel beschreibt, eine stark erhöhte Empfindlichkeit in fast allen Lebensbereichen. Da diese Empfindlichkeit keine psychische Störung ist, kann ich zum Thema Therapie auch nicht viel sagen. Das Beste wäre ein Lebenspartner welcher mit viel Empathie und Zuneigung im richtigen Moment beruhigend reagiert.
Anders sieht dies beim sensitiven Patienten aus. Da ich psychologischer Coach bin, sage ich zum Thema Heilung nichts, da ist dann der Psychologe gefragt.
Bernd Kühl, psychologischer Coach
07.08.2021