Ein hektischer Tag im Job – Überstunden inklusive, anschließend Schlangestehen an der einzigen offenen Kasse im Supermarkt und auf dem Heimweg Stop-and-Go in der Rushhour. Im Alltag liegt der Stresspegel oft hoch, nach Feierabend ist der Akku leer. Zeit, den Stecker zu ziehen und abzuschalten. Die einen legen auf dem Sofa die Füße hoch, andere gehen in die Sauna, regenerieren beim Sport, lassen sich ein dampfendes, aromatisches Bad ein oder… nehmen sich Zeit für Shinrin-Yoku.
Shinrin-Yoku ist Baden ohne Wanne, Schaum und Schwamm. Dafür mitten in der Natur. Umgeben von Eichen, Fichten, Tannen, Kiefern oder Buchen. Shinrin-Yoku kommt aus dem Japanischen und bedeutet „Baden im Wald“. Was bei uns teilweise noch als esoterischer Lifestyle-Trend belächelt wird, ist in Asien längst in Medizin und Wissenschaft angekommen. Und das zu Recht.
Was Wald kann: Prävention, Stärkung, Heilung
Allein der Anblick von Bäumen tut uns gut – mental und körperlich. Belegt ist das durch eine Studie, die 1984 im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschienen ist. Beobachtet wurden Patienten, die nach einer Operation im Krankenhaus lagen. Die Gruppe, die vom Fenster aus ins Grüne schauen konnte, erholte sich schneller und brauchte weniger Schmerzmittel als diejenigen mit Blick auf Straßenzüge und Hausfassaden.
Umweltpsychologe Marc Berman stellte 1995 außerdem fest: Je weniger Bäume in einer Wohngegend stehen, umso höher ist das Risiko für Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Probleme.
Terpene – das Geheimnis der Waldluft
Aber nicht nur optisch wirken Bäume positiv auf unser Wohlbefinden. Denn was die wenigsten wissen: Der Wald produziert ätherische Öle. Sie sind Teil der Botenstoffe, mit deren Hilfe Bäume untereinander kommunizieren, sich beispielsweise vor Schädlingen oder Trockenheit warnen. Diese Terpene nimmt der Mensch über die Haut und die Atmung auf. Und profitiert davon gleich mehrfach:
- Das Immunsystem wird gestärkt
Terpene fördern die Produktion und die Aktivität von Killerzellen. Und die spielen für die körpereigenen Abwehrkräfte eine entscheidende Rolle: Sie töten beispielsweise Viren ab, erkennen veränderte Zellen und setzen sie außer Gefecht. Damit unterstützen sie aktiv die Krebsprävention und können auch unterstützend in der Krebstherapie eingesetzt werden. - Der Cortisolspiegel im Blut sinkt
Je niedriger die Konzentration von Stresshormonen im Blut ist, umso mehr entspannen sich Psyche und Physis. Im Wald wird Cortisol abgebaut, gleichzeitig steigert sich die Ausschüttung von DHEA. Dieses Hormon ist quasi der natürliche Gegenspieler des Stresshormons Cortisol und die körpereigene Herzschutzsubstanz. Es gilt als Anti-Age-Hormon, unterstützt Vitalität und Gedächtnisleistung. - Das Herz-Kreislauf-System wird entlastet
Wenn wir beim Waldbaden zur Ruhe kommen, gönnen wir unserem Körper eine Auszeit, die er dankbar annimmt. Puls und Atmung verlangsamen sich, Blutzuckerspiegel und Blutdruck sinken. Diese Prozesse tun unserem Körper gut, schonen seine Ressourcen und machen uns resilienter. - Stressabbau wird gefördert, die Schlafqualität verbessert sich
Im Wald bleiben Hektik und Stress außen vor. Durch die Aufnahme von Terpenen wird die Aktivität des Parasympathikus‘ stimuliert. Dieser „Ruhenerv“ ist Teil des vegetativen Nervensystems und für Regeneration und Erholung zuständig. Sein Gegenpart – der Sympathikus – wird gleichzeitig in seiner Funktion heruntergefahren. Das verstärkt den entspannenden, beruhigenden Effekt auf Körper und Geist. Auf diese Weise kann Waldbaden auch bei Angststörungen oder depressiven Stimmungen helfen.
Die Kraft der Natur anzapfen: Tipps fürs Waldbaden
Beim Waldbaden geht es nicht darum, selbst aktiv zu werden. Sondern darum, die Eindrücke im Grünen möglichst intensiv auf sich wirken zu lassen. Und dafür sollte man sich Zeit nehmen. Optimal sind mindestens zwei Stunden, in denen Sie nicht mehr als zwei bis drei Kilometer zurücklegen sollten. Denn schließlich ist Waldbaden kein Sport! Im Mittelpunkt steht nicht die Bewegung, sondern das Erleben einer besonders wohltuenden Umgebung – mit all ihren Farben, Gerüchen und Geräuschen, den Pflanzen, Lebewesen, dem Boden, dem Wind, der Feuchtigkeit, der Haptik, dem Wechselspiel aus Licht und Schatten. All das schafft eine einzigartige Atmosphäre, in die wir beim Waldbaden mit allen Sinnen eintauchen können.
Probieren Sie es aus. Setzen Sie sich auf einen Stein. Streichen Sie über das Moos. Riechen Sie an einem Pilz. Schließen Sie die Augen, und achten Sie auf das, was Sie hören – das Rauschen der Baumkronen, das Gluckern eines Bachs, das Knacken von Ästen, die verschiedenen Vogelstimmen.
Verlassen Sie ausgetretene Pfade! Gehen Sie ruhig ein paar Meter ins Unterholz. Hier riecht es oft schon ganz anders als auf den Wanderwegen. Die Vegetation verändert sich, der Kontakt zur Natur und ihren Bewohnern wird enger.
Packen Sie sich einen leichten Snack ein und machen Sie ein kleines Wald-Picknick. Sie werden feststellen, dass Sie gewohnten Geschmack im Wald anders oder intensiver wahrnehmen. Was unter anderem daran liegt, dass Ablenkungen und alltägliche Außenreize wegfallen.
Lassen Sie Ihr Handy zuhause oder stellen Sie es zumindest auf lautlos. Push-Nachrichten, Social Media und der Posteingang haben hier Pause. Auch auf Selfies in idyllischer Umgebung oder eindrucksvolle Naturaufnahmen kommt es hier nicht an. Das mag anfangs ungewohnt sein, wird am Ende aber die positiven Effekte des Waldbadens definitiv verstärken.
Natur verbindet: Waldbaden für Paare und Singles
Shinrin-Yoku funktioniert nicht nur allein, sondern auch in kleinen Gruppen. Den Wald gemeinsam mit anderen in all seinen Facetten zu erleben, zu erspüren und zu entdecken, ist eine ganz besondere Erfahrung. Kommerzielle Anbieter organisieren geführte Touren mit Waldexperten, die nicht nur als Achtsamkeitsübung, zu Regeneration und Gesundheitsprävention genutzt werden, sondern auch zum gegenseitigen Kennenlernen oder zur Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen.
Eine gemeinsame Auszeit in der Natur bietet die Möglichkeit, intensiv Zeit miteinander zu verbringen. Sie schafft so einen Ruheraum für Paare, der in der Hektik des Alltags oft fehlt. Und sie schafft einen entspannten Rahmen für neue Begegnungen, den vor allem naturverbundene Singles schätzen, um Gleichgesinnte zu treffen.
Egal ob Waldbad zu zweit, in der Gruppe oder allein, im Stadtpark oder im Naturschutzgebiet – Shinrin-Yoku lässt sich auf unterschiedliche Weise praktizieren. Ganz ohne Equipment oder Training. Der Aufwand ist minimal, der Nutzen immens! Für die Physis, die Psyche und die allgemeine Lebensqualität – und das sogar rezeptfrei und zum Nulltarif!
25.09.2023